„Wir wissen mittlerweile sehr genau, dass eine SARS-CoV-2-Infektion auch bei mildem Krankheitslauf bei bis zu einem Drittel der Patientinnen und Patienten längerfristige gesundheitliche Folgen haben kann. Dazu zählen Fatigue, das heißt chronische Erschöpfung, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schlafprobleme oder Luftnot. Über die Entstehung dieser Langzeitfolgen von COVID-19 – auch als ‚Long COVID‘ bekannt – ist bislang relativ wenig bekannt“, sagt Prof. Dr. Mascha Binder. Auch zunächst symptomlos oder mit leichten Symptomen verlaufende Corona-Infektionen können somit offenbar langwierige oder gar dauerhafte gesundheitliche Folgen haben. Die Erforschung von „Long COVID“ ist Inhalt eines weiteren Teilprojekts der „DigiHero“-Studie der Universitätsmedizin Halle (Saale), das nun begonnen hat. Prof. Binder, Hämato-Onkologin und Direktorin der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin IV am Universitätsklinikum Halle (Saale), forscht außer zu Krebserkrankungen auch zu immunologischen Fragestellungen und leitet das Teilprojekt.
Eingeladen werden hierfür Hallenserinnen und Hallenser, die bereits Teilnehmende der „DigiHero“-Studie sind und nachweislich an COVID-19 erkrankt waren sowie ihre Haushaltsmitglieder. „584 Haushalte mit insgesamt 1538 Personen kommen für dieses Projekt bisher in Frage“, so Dr. Cornelia Gottschick vom „DigiHero“-Studienteam. Ihnen wird Blut abgenommen und sie werden mit einem Fragebogen zu anfänglichen und nach wie vor anhaltenden Symptomen und Beschwerden befragt. Immerhin könne eine Infektion auch bereits im Frühjahr 2020 aufgetreten sein, so Gottschick. Die Befragung soll zusammen mit der Blutuntersuchung Aufschlüsse darüber geben, wie sich „Long Covid“ darstellt und ob sich entsprechende Hinweise dazu beziehungsweise Veränderungen im Blut finden lassen. „Im Rahmen einer immunologischen Studie an einer Kohorte von genesenen Patientinnen und Patienten mit mildem Verlauf habe ich mit meiner Arbeitsgruppe bereits früh in der Pandemie langanhaltende immunologische Auffälligkeiten gefunden“, so Binder. Diese Erkenntnisse wurden 2020 im Fachmagazin Immunity veröffentlicht .
Mit der „DigiHero“-Studie erhoffen sich Binder, ihr Team und das DigiHero-Konsortium nähere Einblicke in den Zusammenhang zwischen fehlgeleiteter Immunität und „Long COVID“. „Wir werden gezielt nach Immunkonstellationen suchen, die bei Fatigue oder anderen ‚LongCOVID‘-Symptomatiken auftreten. Ein genaueres Verständnis dieser Zusammenhänge könnte helfen, diese Langzeitfolgen beispielsweise mithilfe einer anti-entzündlichen Behandlung der Akutinfektion oder im ‚Long-COVID‘-Stadium zu verhindern“, so Binder. Dafür werden die Blutproben in Plasma und Blutzellen getrennt und darin beispielsweise nach immunologischen Markern gesucht, die beispielsweise Aufschluss über eine erfolgte Infektion, aber auch eine Impfung geben können. Andererseits seien auch Auto-Antikörper sowie Zytokine, also Proteine, die Teil der Immunabwehr sind, interessant, vor allem im Unterschied zu Proben von anderen Patientinnen und Patienten, erläutert Binder. Des Weiteren werde der Antikörper-Titer bestimmt, so dass die Probandinnen und Probanden erfahren, ob sie Antikörper gegen COVID-19 im Blut haben.
Die Blutproben dienen einerseits der Forschung in Halle, aber die gewonnenen, anonymisierten Daten stehen auch für Kooperationen mit anderen Forschenden weltweit zur Verfügung. Bisher wisse man nach wie vor wenig zu COVID-19, insbesondere auch zu den Langzeitfolgen. „Mit dem Projekt können wir trotz der Begrenzung auf Halle dazu beitragen, mehr zu erfahren, denn wenn alle Eingeladenen mitmachen, ist das eine sehr ordentliche Probandenzahl“, sagt Binder.
Die Proben-Entnahme und -Untersuchung soll voraussichtlich Ende des Jahres abgeschlossen sein. Erste Ergebnisse aus dem Teilprojekt der „DigiHero“-Studie werden im ersten Quartal 2022 erwartet.