2. Stellungnahme des Netzwerkes für Schwere Infektionskrankheiten (MONID)

Das Modellierunsgnetz für Schwere Infektionskrankheiten (MONID) hat nach einem ersten Statement im September zum weiteren Verlauf der SARS-CoV-2-Pandemie im Herbst und Winter 2022/2023 nun ein zweites Statement veröffentlicht. Inhalt des zweiten Statements sind passend zur aktuellen Debatte neue Modellergebnisse zu möglichen Effekten einer Aufhebung der Isolationspflicht und einem Wegfall der Maskenpflicht im öffentlichen Personenverkehr. Berücksichtigt werden dabei neben COVID-19 auch weitere schwere Atemwegsinfektionen, welche momentan eine stark erhöhte Inizidenz von Krankenhausaufnahmen in Deutschland zur Folge haben.

 

 

2. Stellungnahme des Modellierungsnetzes für schwere Infektionskrankheiten (MONID)

Das Modellierungsnetz für schwere Infektionskrankheiten ist ein Netzwerk von sieben durch das BMBF geförderten Modellierungskonsortien, welches seit Mai 2022 besteht. Das Netzwerk hat ein Steuerungsgremium gebildet, das Modellierungen aus den Konsortien, die aktuelle Fragestellungen betreffen, harmonisiert und kommuniziert. 

In dieser Stellungnahme geben wir eine kurze Übersicht der aktuellen Situation und weisen auf drei aktuelle Problem- bzw. Handlungsfelder hin: (1) die angespannte Situation in den Kinderkliniken, (2) die möglichen Effekte der Aufhebung der Isolationspflicht und (3) die möglichen Effekte der Aufhebung der Maskenpflicht im öffentlichen Personenverkehr. Wir berichten außerdem über Erkenntnisse aus entsprechenden Modellsimulationen bzgl. der Punkte (2) und (3).

Aktuelle Situation

Die Surveillance des RKI zeigt für die aktuelle Jahreszeit eine stark erhöhte Inzidenz von Krankenhausaufnahmen aufgrund schwerer akuter respiratorischer Infektionen (SARI) im Vergleich zu den vorpandemischen Jahren. Die Inzidenzen liegen für Erwachsene in der Kalenderwoche 48 allerdings noch unter dem Höhepunkt der in den letzten Jahren schwersten Grippewelle 2017/18 (damals wie gewöhnlich zu Beginn eines Kalenderjahres). Für die Altersgruppen von 0 bis 4 Jahren und von 5 bis 14 werden dagegen aktuell Krankenhausinzidenzen durch Atemwegsinfektionen berichtet, die oberhalb der Höhepunkte auch der präpandemischen Jahre liegen (https://influenza.rki.de/Wochenberichte/2022_2023/2022-48.pdf). Aufgrund dieser hohen Belastung und eines akuten Personalmangels in den Kinderkliniken kommt es derzeit zu einer eingeschränkten Versorgungssituation von Kindern mit SARI (https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen). 

Vor diesem Hintergrund wurden von Mitgliedern des Modellierungsnetzwerks Modell-Simulationen durchgeführt, in denen die Effekte des Wegfalls der Isolations- und Maskenpflicht auf die Infektionsdynamik von SARS-CoV-2 untersucht wurden. Ohne die Aufhebung dieser Maßnahmen gehen die derzeitigen Modellvorhersagen bei Ausbreitung der Sublinie BQ.1.1 von einem Anstieg der Infektionszahlen mit einem Höhepunkt zum Jahresübergang aus, bei dem der Peak der gemessenen Inzidenz voraussichtlich aber unterhalb des Peaks der BA.5-Welle (Juni/Juli) liegen wird.

Effekte der Aufhebung der Isolationspflicht bei vorliegender SARS-CoV-2 Infektion 

Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die Isolation von Personen mit einer nachgewiesenen SARS-CoV-2 Infektion weiterhin eine wirksame Maßnahme zur Senkung der Infektionszahlen darstellt. Im Vergleich von zwei Extremszenarien “alle Personen mit symptomatischen SARS-CoV-2 Infektionen werden erkannt und isoliert” vs. “keine infizierte Person isoliert sich” traten bis zu doppelt so viele (nachgewiesene) Infektionen und Hospitalisierungen durch SARS-CoV-2 auf. Es ist allerdings anzunehmen, dass in einem realistischeren Szenario, in dem (a) nur ein Teil der infizierten Personen detektiert wird und (b) ein gewisser Anteil der infizierten Personen auch ohne Isolationspflicht zu Hause bleibt (z. B. aufgrund von Symptomen oder aus Selbst- und Fremdverantwortung), der Wegfall der Isolationspflicht einen deutlich geringeren Effekt auf das Infektionsgeschehen durch SARS-CoV-2 in der Gesamtbevölkerung hätte. Nimmt man an, dass sich mit dem Wegfall der Isolationspflicht 10 % weniger infektiöse Personen isolieren, würde es im Peak der Epidemie zu rund 5-10 % mehr Infektionen/Hospitalisierungen kommen.

In bestimmten Bevölkerungsgruppen, z.B. bei prekären Beschäftigungsverhältnissen oder in Bereichen, in denen Ausfälle nicht gut kompensiert werden können, könnten die Effekte dennoch deutlich ausgeprägter sein. Wenn ein erheblicher Druck besteht, trotz Symptomatik oder bekannter Infektion zur Arbeit gehen zu müssen, führt das zu vermehrten Infektionsketten am Arbeitsplatz, was letztendlich einen erhöhten Personalausfall verursachen kann. Speziell an Arbeitsplätzen mit vielen Kontakten, sowie im Altenpflege- und Gesundheitssystem könnte ein hierdurch entstehendes erhöhtes Infektionsgeschehen einen relevanten Anstieg der Krankheitslast zur Folge haben.

Effekte der Aufhebung der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln

Auch bei einem Wegfall der Maskenpflicht zeigen die Simulationsergebnisse eine Erhöhung der Fall- und Hospitalisierungszahlen aufgrund von SARS-CoV-2 Infektionen. Die Effekte hängen dabei stark davon ab, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der nach dem Wegfall der Pflicht trotzdem weiterhin Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln tragen würde. Dabei gilt es zu bedenken, dass sich die Effekte der Isolation und tragen der Maske gegenseitig verstärken: Durch den Wegfall der Isolationspflicht würden auch mehr potenziell infektiöse Personen öffentliche Verkehrsmittel benutzen, so dass eine Maskenpflicht in diesem Fall mehr Übertragungen verhindern könnte als in einem Szenario mit Isolationspflicht. Zudem besteht auch das Risiko einer erhöhten Übertragung von anderen Infektionserregern. Da sich die Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln regional unterscheidet (z.B. größere Städte vs. Land), könnte die Aufhebung dieser Maßnahme auch regional unterschiedliche Effekte auf das Infektionsgeschehen haben. 

Zusammenfassung

Zusammengefasst legen die Ergebnisse unserer Modellrechnungen nahe, dass die Aufhebung von Isolations- und Maskenpflicht die Krankheitslast sowie die Belastung des Gesundheitssystems durch SARS-CoV-2 gegenüber dem Beibehalten dieser Maßnahmen unter ansonsten gleichbleibenden Rahmenbedingungen erhöhen würde. Jenseits der Frage nach gesetzlicher Isolationspflicht, ist es wichtig, dass Personen mit symptomatischen Infektionen (auch wenn SARS-CoV-2 negativ) ihre Kontakte beschränken. 

Diese Ergebnisse sind im Zusammenhang mit der Ausbreitung anderer infektiöser Atemwegserkrankungen (die hier nicht quantitativ modelliert wurden), der Gesamtbelastung des Gesundheitssystems durch SARI sowie der angespannten Personalsituation im Gesundheitswesen, insbesondere im pädiatrischen Bereich, zu sehen. Um eine zusätzliche Belastung im aktuellen Winter 2022/2023 zu vermeiden, ist es sinnvoll, die Maßnahmen bis zum Frühling 2023 beizubehalten.

Experten/-innen, die bei der Erstellung des Dokuments mitgewirkt haben, bzw. die Aussagen unterstützen (alphabetische Reihenfolge)

Name

Modell / Verbund

Affiliation

Bierbaum, Veronika

PROGNOSIS

Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Universitätsklinikum Dresden / TU Dresden

Calero Valdez, André

infoXpand, OptimAgent

Universität zu Lübeck

Conrad, Tim

MODUS-Covid

Zuse Institut Berlin & Math+

Hasenauer, Jan

INSIDe

Universität Bonn

Karch, André

OptimAgent, RESPINOW

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Kuhlmann, Alexander

OptimAgent,

Koordinierungsstelle

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Krueger, Tyll

MOCOS, OptimAgent,

SaxoCov

Wroclaw University of Science and Technology

Lange, Berit

RESPINOW, OptimAgent

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Loeffler, Markus

MOCOS, OptimAgent,

SaxoCov

IMISE, Universität Leipzig

Mäs, Michael

infoXpand

Karlsruhe Institut für Technologie

Mikolajczyk, Rafael

OptimAgent,

Koordinierungsstelle

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Mohring, Jan

EpideMSE, SEMSAI

Fraunhofer ITWM

Nagel, Kai

MODUS-Covid, infoXpand

TU Berlin & Math+

Priesemann, Viola

infoXpand, RESPINOW

Max Planck Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Georg August Universität Göttingen

Schuppert, Andreas

PROGNOSIS

RWTH Aachen / Universitätsklinikum Aachen

Schütte, Christof

MODUS-Covid

Zuse Institut Berlin & Math+